«Spannungen umarmen, sie diskutieren und Chancen daraus entwickeln»

09.09.2021
3/2021

Nachhaltigkeit und Geschäftserfolg sind kein Widerspruch, sondern gehen Hand in Hand, sagt Ricola-CEO Thomas P. Meier. Ein «Greenteam» mit Mitgliedern aus vielen Abteilungen und Hierarchiestufen überprüft deshalb jede Entscheidung.

     

Herr Meier, die Marke Ricola assoziiert man mit natürlichen Kräutern – kann man in dieser Branche ökologisch gesehen überhaupt etwas falsch machen?

Schon vor 30, 40 Jahren war es Ricola ein Anliegen, mit den Kräuterbauern aus dem schweizerischen Alpenraum direkt zusammenzuarbeiten. Als ich vor zwei Jahren CEO wurde, habe ich einige davon besucht. Es ist für uns von zentraler Bedeutung, unsere Verantwortung gegenüber der Natur und den Menschen wahrzunehmen.

Was sind Ihrer Ansicht nach die richtigen Voraussetzungen für ein modernes Nachhaltigkeitsmanagement?

Nachhaltigkeit darf nicht auf ein Strategiepapier ausgelagert werden, sondern es braucht die verbindliche Verpflichtung des CEO, der Geschäftsleitung und auch der Mitarbeitenden. Nachhaltigkeit muss Bestandteil der Unternehmensstrategie und -kultur sein und somit in der Organisation verankert werden.

Sie haben auch ein «Greenteam» – wozu?

Unser interdisziplinäres Greenteam koordiniert und kontrolliert die Umsetzung unserer Nachhaltigkeitsmassnahmen. Viel Know-how, frischen Schub und Kontakt zu kreativen Leuten aus der Start-up-Szene hat uns unsere Tochtergesellschaft «Ricolab» im Zürcher Technopark verschafft. Inzwischen haben wir Ricolab in unsere Innovationsabteilung integriert. 

Inwiefern legen Sie Wert auf ökologische Aspekte auf die ganze Wertschöpfungskette gesehen?

Bei den Kräutern setzen die knapp hundert Kräuterbauern, die bei uns unter Vertrag stehen, seit den 1970er-Jahren auf die Anbaugrundsätze von Bio Suisse: ohne Herbizide, Fungizide, Insektizide, Kunstdünger und Monokulturen. In unserem Kräuterzentrum in Laufen, dem grössten Lehmbau von Europa, werden die Kräuter angeliefert und verarbeitet – auch die Lieferdistanzen sind somit kurz. Mit der Abwärme der Bonbonproduktion heizen wir den Lehmbau.

Sie machen also schon alles richtig?

Wir sind nicht perfekt, denn wir betrachten Nachhaltigkeit nicht als Ziel, sondern als Weg, auf dem wir uns täglich bewegen. Ein modernes Nachhaltigkeitsmanagement geht davon aus, dass man immer wieder eine Balance finden, im Dialog der Themen bleiben und sich weiterentwickeln muss. Dabei entstehen auch Spannungen, die es auszuhalten gilt. Ja, man sollte die Spannungen bildlich gesprochen sogar umarmen, sie diskutieren und Chancen daraus entwickeln. Sonst bleibt man stecken und kommt nicht weiter.

     

Orientiert sich Ricola an einem Wertesystem?

Verantwortungsvolles Denken und Handeln sind Teil des ‹genetischen Codes› von Ricola und definieren klar unser Wertesystem, dem wir folgen. Teil unseres Wertekanons ist das Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Natur, den Menschen und der Firma. Eine Diskussion darüber darf und muss aber stattfinden.

Wie gestaltet sich diese Diskussion, und wer aus welchen Hierarchiestufen nimmt daran teil?

Wir fragen uns bei jeder Entscheidung, ob sie gut für die Natur, für die Menschen innerhalb und ausserhalb der Firma und für das Unternehmen selbst ist. Sei es bei einer neuen Verpackung, der Preisgestaltung oder der Distribution. Hier ist wieder das Greenteam verantwortlich, in dem Mitarbeitende aus verschiedenen Hierarchiestufen und Abteilungen tätig sind. 

Warum diese Vielfalt?

Jemand aus der Finanzabteilung schaut bestimmte Themen anders an als jemand aus der Kräuterabteilung oder dem Verkauf. Weil wir hierzulande mit 400 Mitarbeitenden eine überschaubare Grösse haben, klappt das gut.

Wie verhindert man in Ihrer Branche das verpönte «Greenwashing»?

Indem man voll und ganz hinter seinen Werten steht und diese auch täglich lebt. Unsere Nachhaltigkeit lässt sich nachprüfen. Wir machen zuerst die Arbeit, bevor wir darüber sprechen. Wir sind keinesfalls perfekt, aber wir versuchen, uns stets zu verbessern.

Wo zum Beispiel?

Bei Themen wie der Wertschöpfungskette. Wir exportieren in mehr als 45 Länder weltweit und haben mit vielen Partnern einen Verhaltenskodex abgeschlossen. Handlungsbedarf sehe ich beispielsweise noch bei der Feinverteilung unserer Produkte. 

Eine unternehmerische Position der Nachhaltigkeit umfasst auch Gleichberechtigung, Lohngleichheit und ethische Richtlinien der ganzen Wertschöpfungskette entlang. Welche Ziele verfolgen Sie bei den sozialen Standards?

Sie sind uns sehr wichtig: Bei den Partnern, Lieferanten und Absatzpartnern stellt der erwähnte Verhaltenskodex als formales Instrument den hohen Standard sicher. Innerhalb der Firma halten wir Chancengleichheit und soziale Verantwortung hoch. Wir beschäftigen Personen aus 24 Nationen, zu je 50 Prozent Männer und Frauen im Alter von 16 bis 68, und entlöhnen unsere Mitarbeitenden unabhängig vom Geschlecht fair. Zudem leistet Ricola einen aktiven Beitrag zur Integration von Menschen mit geringeren Chancen in der Berufswelt. 

     

Es ist eine falsche Annahme, dass Nachhaltigkeit immer viel kosten muss.

     

Wo müssen Sie Kompromisse im Sinn der Wirtschaftlichkeit machen? 

Das ist eine der grossen Spannungsdiskussionen. Es ist aber eine falsche Annahme, dass Nachhaltigkeit immer viel kosten muss. Im Gegenteil kann sie sogar Einsparungen bringen, etwa bei der Energie und der Verpackung. Zum Beispiel konnten wir bei zahlreichen Produkten dank dem Verzicht auf Alubeschichtungen in den Beuteln die Verpackungskosten reduzieren. Wir stellten Fragen wie: Ist es von den Produktionsmaschinen her machbar? Leidet die Produktqualität? Was sind die Alternativen? Es lohnt sich, zu hinterfragen, was man jahrelang nicht angeschaut hat.

Der Preis des Produktes darf ja nicht zu hoch sein.

Es ist uns wichtig, unsere Produkte zu fairen Preisen anzubieten, damit sie für alle erschwinglich sind. Dafür möchten wir aber punkto Nachhaltigkeit keine grossen Kompromisse eingehen. 

     

Lässt sich Nachhaltigkeit messen?

Es gibt klassische Messgrössen wie den CO2-Ausstoss, die Energie, die Anzahl rezyklierter Verpackungen und der Rohstoffe aus naturgemässem Anbau. Diese Zahlen überprüfen wir regelmässig und gehen Schritt für Schritt vorwärts.

     

Es lohnt sich, zu hinterfragen, was man jahrelang nicht angeschaut hat.

     

Wie messen Sie die sozialen Standards?

Wir führen alle zwei Jahre gross angelegte Mitarbeiterbefragungen und dazwischen kurzfristigere Pulsmessungen durch, die aufschlussreich sind. Bei den 360-Grad-Beurteilungen der Topführungskräfte erhalten wir Anhaltspunkte für soziale Fragen. Wir messen kontinuierlich Kenngrössen für Natur, Mensch und Wirtschaft und setzen uns an den Geschäftsleitungssitzungen kritisch damit auseinander. 

Wer misst diese Zahlen?

Wir haben entschieden, dass nicht das Greenteam diese Messungen vornimmt, koordiniert und sammelt, sondern die Finanzabteilung. Sie beurteilt diese Themen neutral und professionell. Die wirtschaftlichen Zahlen wie die Produktionszahlen und die Marktanteile kommen aus der Produktion. Mit dieser Methode fahren wir sehr gut.

 

Lebensmittelprofi

Thomas P. Meier ist seit 2019 operativer CEO von Ricola. Der 50-jährige Bülacher war zuvor während Jahrzehnten in leitenden Positionen in der Lebensmittelbranche tätig, wie etwa bei Lindt & Sprüngli oder Franke Coffee Systems. Die Ricola AG exportiert ihre Kräuterspezialitäten in mehr als 45 Länder und beschäftigt weltweit rund 500 Mitarbeitende.