Shrimps von der grünen Wiese

23.11.2020
4/2020

Die grösste europäische Garnelenaufzucht steht in Rheinfelden. Ihre Gründer sehen sie weniger als Produktionsbetrieb denn als laufenden Innovationsprozess. Zu dessen Treibern gehören Schweizer Exaktheit, Ressourcenbewusstsein und Regulierungsdichte.

Wonach riecht eigentlich das Meer? Wer ehrlich ist, muss sagen: nach totem Fisch. Nach gesalzenem, totem Fisch.

Deshalb riecht es in der grössten Shrimpsfarm Europas im aargauischen Rheinfelden nicht nach Meer. In der von der Aussenwelt abgeriegelten, künstlich beleuchteten Halle (entsprechend dem Tageslichtrhythmus im Golf von Mexiko) wachsen zwar Abertausende von Garnelen heran. Sie tun dies aber in künstlichem Meerwasser.

Dieses Wasser in den sechzehn grossen Becken, die wie Kajütenbetten jeweils zu zweit übereinanderliegen, wird jeden Tag zwanzigmal vollständig gefiltert: Kot, Nahrungs- oder Schalenreste der Bewohner werden beseitigt. Anders als in den Intensivzuchten in den offenen Becken in Asien gibt es keine Kontamination des Wassers durch Vögel und andere äussere Einflüsse. Deswegen ist kein Einsatz von Antibiotika nötig.

Die SwissShrimp AG ist kein pittoresker Biobetrieb, sondern ein hochmodernes Start-up. Es beruht auf den Ideen des Asienkenners Thomas Tschirren. Er dachte ab 2008 darüber nach, eine lokale, nachhaltige Shrimpsaufzucht zu realisieren. Heute ist SwissShrimp ein Hightechunternehmen mit ethischem Anspruch.

Täglich akribisch kontrolliertes Wasser

Auch wenn man es sich angesichts der Tausenden von Garnelen in der sterilen Umgebung der Tanks schwer vorstellen kann – «den Tieren geht es gut, sie fühlen sich wohl: Sonst würden sie nicht so prächtig gedeihen», sagt Geschäftsführer Rafael Waber. Und weil zum Anspruch der Jungunternehmer auch Transparenz gehört, hat SwissShrimps von Anfang an den Segen der weltweit strengsten Wildfisch-Schutzorganisation, FairFish, eingeholt. Hätte deren Präsident, der Schweizer Billo Heinzpeter Studer, dem Betrieb nicht das Tierwohl bescheinigt, «hätten wir gar nicht mit der Produktion anzufangen brauchen», sagt Waber.

Das Salz im Wasser stammt zu 80 Prozent aus der benachbarten Saline Riburg; dies war aber nicht der Grund für die symbiotische Beziehung der beiden Unternehmen: Die Shrimpsfarm ist vielmehr die ideale Verwerterin der Energie, beim Eindampfungsprozess des Salzes aus der Tiefe anfällt.

Weil es sich beim Kochsalz (der Name folgt aus dem Gewinnungsverfahren und nicht aus dem Verwendungszweck) um pures Natriumchlorid handelt, wird das Wasser mit weiteren Elementen angereichert, die dem Lebensraum der Weissbeingarnele entsprechen.

Die Rezeptur wird genauso wie die Wassertemperatur, die Populationsdichte (der «Besatz») und eine Vielzahl weiterer Parameter in den verschiedenen Tankabschnitten akribisch überwacht und angepasst. Ziel ist das schnellstmögliche Wachstum der Garnelen. Sie werden in verschiedenen Grössen «geerntet» und frisch an Restaurants, Grossverteiler oder Privatkunden verkauft. Zu einem Preis weit nördlich der typischen asiatischen Zuchtcrevetten. Dafür gibts neben dem guten Gewissen frische Crevetten. Meerfrisch von der grünen Wiese in unmittelbarer Nähe, sozusagen.

Eigenentwicklungen rundum

Dass all das möglich wird, dafür sieht Waber neben der hohen Kaufkraft in der Schweiz andere typische Eigenschaften als Faktoren. Der Vernetzungsgrad, das Bildungsniveau, die vielen verschiedenen Disziplinen. «Unser Team entstand aus einer Gruppe von Jugendfreunden, von denen jeder weitere Experten beisteuern konnte: den Chemiker, den Finanzexperten und so weiter.» Und die überliessen mit der sprichwörtlichen Schweizer Genauigkeit nichts dem Zufall. Das Labor, die endlosen Messreihen und der teure Ionenchromatograf sind der Stolz von SwissShrimp. Die Tanks, die Filter und das Layout der Anlage – die Wasseraufbereitung ist räumlich von den Habitaten der lärmempfindlichen Tiere getrennt – sind allesamt Eigenentwicklungen. Sie werden laufend verbessert.

Und schliesslich gewinnt Waber auch den Sachzwängen der weitgehenden Regulierung in der Schweiz viel Positives ab. So haben nicht die Shrimpszüchter die Schweizer Salinen AG als Partnerin gefunden, sondern umgekehrt: Weil sie aus Umweltgründen ihr warmes Wasser weder in den Rhein ablassen noch es mit zusätzlichem Energieaufwand unter die Toleranzschwelle kühlen durften und dürfen, hatten sie ein existenzielles Problem.

So ist die Regulierung zur Innovationstreiberin geworden. Paradoxerweise seien auch die hiesigen Behörden ein wichtiger Faktor, sagt Waber. «Wir hatten Auflagen aus siebzehn Verordnungen zu erfüllen», sagt er. «Wir sind faktisch ein Landwirtschaftsbetrieb mit allen Prozessschritten von der Tieraufzucht bis zur Schlachtung, zu der Verpackung und dem Versand.» Also habe er bei jedem Problem eine zuständige Person für das direkte Gespräch gesucht. Und er habe immer eine gefunden, die an kreativen Lösungen so interessiert gewesen sei wie SwissShrimps.

 

Besser nah als natürlich

Der Wildfang von Crevetten, auch Shrimps oder Garnelen genannt, ist wegen des verheerenden Verhältnisses von bis zu 20 Kilo Beifangfisch zu 1 Kilo Shrimps kaum verantwortbar – der Beifang überlebt den Vorgang nicht, wird aber ungenutzt über Bord gekippt. Die Shrimp-Intensivzuchten Asiens sind wegen des masslosen Einsatzes von Antibiotika in Verruf geraten. Und extensive Zucht in natürlicher Umgebung fällt mit einer katastrophalen CO2-Bilanz aufgrund der Rodungen in Mangrovenwäldern negativ auf.

Deswegen ist die industrielle Aufzucht von Garnelen nahe bei den Konsumenten die sinnvollste Methode, frische Garnelen an die Kundschaft zu bringen – und die umweltfreundlichste.