Neue Aspekte für unternehmerische Entscheide

Ich kann mich an kein anderes Ereignis erinnern, das in den letzten 25 Jahren die Arbeitswelt so einschneidend beeinflusst hätte wie die COVID-19-Pandemie. Infolge der Beschränkungen wird die Wirtschaft gezwungen, Arbeitskonzepte umzusetzen, die bis vor Kurzem einfach nur theoretische Möglichkeiten oder Ideen waren: 100% Homeoffice, 100% virtuelle Veranstaltungen.

Und siehe da: Plötzlich ist vieles möglich, einfach, weil es nicht anders geht. Ich bin gespannt darauf, wie die neue oder nächste Normalität aussehen wird. Wie viel wird von den Veränderungen bleiben, wenn die meisten Einschränkungen einmal weggefallen sind?

Bereits liest man in Prognosen und Spekulationen darüber, dass wir Innenstädte nicht mehr in der Form brauchen, wie sie heute geplant und gebaut sind: Die Konsumenten kaufen online von zu Hause ein anstatt in den Einkaufsstrassen, und prestigeträchtige Büroräume an bester zentraler Lage bleiben leer, weil die meisten zu Hause arbeiten. Müssen wir das Konzept der Städte als Motoren der Wirtschaft und des Wohlstands neu denken? In den Städten wird eigentlich mit Ressourcen wie Fläche und Energie effizienter umgegangen als im ländlichen Raum. Welche Art der Mobilität werden wir in Zukunft benötigen, um diese Arbeits- und Lebensweise zu unterstützen?

Die Wirtschaft wird gerade dazu gezwungen, lieb gewonnene und allgemeingültige Annahmen zu hinterfragen und deren Einfluss auf Investitionen und Grossprojekte zu prüfen. Das Gemeinsame an allen neuen Perspektiven ist eine erweiterte ganzheitliche Sicht, erweitert um Aspekte, die vorher wenig oder gar nicht berücksichtigt worden sind. Die COVID-19-Pandemie ist der Auslöser dafür, dass in unternehmerischen Entscheidungen neue Aspekte berücksichtigt und bestehende anders gewichtet werden, genauso wie es die Finanzkrise war, wie es die Digitalisierung und der Klimawandel sind. Was bleibt und unbedingt bleiben soll, wenn wir unsere Lebensqualität halten und verbessern wollen, das ist die Bereitschaft, unternehmerisch zu handeln. Das bedeutet im Kern, neue Wege zu beschreiten und Risiken einzugehen. Die Idee für Grossprojekte ist einer der Indikatoren für Unternehmergeist. Und die Realisierung von Grossprojekten ist ein Indikator für gesellschaftliche Akzeptanz.

Thomas Scheiwiller
Unabhängiger Advisor für internationale Unternehmen in denBereichen Sustainability, Integrity, Governance und Compliance.