Auch das Homeoffice ist ein Arbeitsplatz

04.06.2021
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Führungskräfte müssen auch in der virtuellen Arbeitsumgebung die arbeitsrechtlichen Bestimmungen einhalten. Zum Beispiel ihre Fürsorgepflicht, um genauer auf Signale von Mitarbeitern im Homeoffice zu achten und rechtzeitig reagieren zu können.

Etliche Studien zeigen, dass sich Arbeitnehmende im Homeoffice grundsätzlich recht wohlfühlen. Verunsicherungen bestehen rund um datenschutzrechtliche Themen wie Überwachung, Persönlichkeits- und Privatsphärenschutz. In den vergangenen Monaten standen Fragen der Kostenbeteiligung der Arbeitgebenden im Vordergrund.

Deren Pflichten enden aber nicht dort: Sie müssen die notwendigen organisatorischen, prozessualen und technischen Grundlagen bieten, um Remote Work zu ermöglichen, die dem Präsenzarbeiten ähnelt.

Führungspersonen müssen prüfen, ob Homeoffice überhaupt möglich und mit einem verhältnismässigen Aufwand umsetzbar ist. Stellt ein Mitarbeiter den Antrag, vor Ort arbeiten zu dürfen, weil er zum Beispiel zu Hause nicht konzentriert arbeiten kann oder keinen Arbeitsplatz zur Verfügung hat, muss der Vorgesetzte eine Interessenabwägung zwischen den Bedürfnissen des Mitarbeiters und dem Schutz vor Ansteckungen vornehmen. Er muss sein Weisungsrecht wahrnehmen und Entscheidungen treffen, welche Mitarbeitende zu befolgen haben.

Fürsorgepflicht gilt auch auf Distanz

Die allgemeine Fürsorgepflicht (Art. 328 OR) besagt, dass der Arbeitgeber den Mitarbeitenden Schutz und Fürsorge zukommen lassen und ihre berechtigten Interessen wahren muss. Das heisst, nicht nur Leben und Gesundheit zu schützen, sondern auch körperliche und geistige Integrität, persönliche und berufliche Ehre, Stellung und Ansehen im Betrieb, Meinungsäusserungsfreiheit sowie Geheim- und Privatsphäre.

Der Vorgesetzte muss für die Arbeit im Homeoffice die Regeln, die in der «Präsenzkultur» erfolgreich gelebt werden, durch solche ersetzen, die eine vertrauens- und respektvolle Zusammenarbeit auch im Homeoffice gewährleisten. Auch im Homeoffice sind sexuelle Belästigungen, zum Beispiel durch Videoeinstellungen, Chats und dergleichen, möglich, die ein Vorgesetzter nicht tolerieren darf. Er darf nicht nur auf Hinweise reagieren, sondern muss aktiv Massnahmen ergreifen und noch genauer hinblicken und Signale wahrnehmen.

Die Fürsorgepflicht im OR wird durch Bestimmungen im Arbeitsgesetz und deren Verordnungen konkretisiert. Gemäss Art. 2 ArGV hat der Arbeitgebende demnach alle Massnahmen zu treffen, die nötig sind, um die psychische Gesundheit der Mitarbeitenden zu gewährleisten. Darunter fällt der Schutz vor Stress, Erschöpfung und Ausgrenzung. Die Führungsperson ist somit für zumutbare Arbeitsbedingungen und die Einhaltung der Arbeitszeiten und Pausen verantwortlich, indem sie ein Instrument für die Arbeitszeiterfassung zur Verfügung stellt (Art. 73a, 73b ArGV1).

Es muss dem Vorgesetzten bekannt sein, dass im Homeoffice aufgrund grösserer Autonomie die Gefahr der Entgrenzung der Arbeit mit dem Privatleben sowie der Isolation besteht, weshalb er dagegen mit Regeln einschreiten muss, wenn etwa Mitarbeitende oder Teams ständig erreichbar sind oder die Arbeitszeiten nicht einhalten. Ebenso muss er der gesundheitsgefährdenden Isolation entgegenwirken, beispielsweise mit informellen Austauschmöglichkeiten, virtuellen Kaffeezeiten oder Small-Talk-Zeiten bei Beginn eines Meetings.

Überwachung ist grundsätzlich nicht zulässig

Arbeitgebende sollten durch klare Weisungen und technische Vorkehrungen sicherstellen, dass auch im Homeoffice die Geheimhaltungsbestimmungen (Art. 321a Abs. 4, Art. 328b OR) sowie die Bestimmungen im Datenschutzgesetz (DSG) eingehalten werden.

Personenbezogene Auswertungen sind ebenso wie die Überwachungen des E-Mails- und Internetverkehrs in der Regel verboten (Art. 12 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 DSG). Demgemäss darf die Führungsperson nicht mit einem Kontrollsystem wie Screenshots, Aktivitätsüberwachung, App-Nutzung oder People-Analytic-Tools das Verhalten und die Produktivität überprüfen.

Es sind auch alle Gesundheitsvorschriften im Homeoffice anwendbar. Der Arbeitsplatz hat die Anforderungen an die Raum- und die Lichtverhältnisse sowie an die Arbeitsgeräte (Bürostuhl, PC, Bildschirm usw.) gemäss Arbeitsgesetz zu erfüllen. Die Realität bei der heute bestehenden Pflicht zu Homeoffice präsentiert sich jedoch anders. Die Mitarbeitenden werden in der Gestaltung ihres Arbeitsplatzes kaum unterstützt.

Der Vorgesetzte ist gemäss Arbeitsgesetz verpflichtet, die Einhaltung der Gesundheitsvorschriften zu überprüfen. Das ist heikel, weil er kein Zutrittsrecht zu privaten Räumen des Mitarbeiters hat: Für eine Kontrolle muss er die Einwilligung des Mitarbeiters einholen. Wird die verweigert, hat der Vorgesetzte kein Weisungsrecht gegenüber dem Mitarbeiter – die Behörde kann ihm dafür keinen Vorwurf machen.

 

Regula Mullis Tönz

Regula Mullis Tönz ist Rechtsanwältin lic. iur. HSG, spezialisiert auf Arbeitsrecht, Verhandlungsführung und Konfliktmanagement. Sie arbeitet als Partnerin in der Kanzlei arbeitundversicherung.ch und ist Mitglied im SKO-Anwaltspool. sko.ch/rechtsdienst

Regula Mullis Tönz
Rechtsanwältin